BSG, Urteil v. 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R - Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge muss auf aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen; psychische Störung als Unfallfolge; exakte Diagnose nach Diagnosesystem erforderlich. September, 2006.
BSG, Urteil v. 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R - Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge muss auf aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen; psychische Störung als Unfallfolge; exakte Diagnose nach Diagnosesystem erforderlich [link]Paper  abstract   bibtex   
Tenor: Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. September 2004 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. D[ies]er wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. [...] Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes. [...] Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (zB ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information \textlessDIMDI\textgreater ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahre 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Aufl 2001). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen. [...] Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl 2005; Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO; vgl speziell Venzlaff/ Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl 2004). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen [...]. Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen [...]. Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen. [...] Die Klärung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes macht die Einholung von Sachverständigengutachten und die eigenständige verantwortliche Beurteilung des konkreten Einzelfalls durch einen Sachverständigen nicht entbehrlich. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung des Sachverständigen, von der er nur wissenschaftlich begründet abweichen kann, und macht sein Gutachten für die Beteiligten und das Gericht transparent und nachvollziehbar. Denn auch für die Beurteilung des Einzelfalles kommt es nicht auf die allgemeine wissenschaftliche Auffassung des einzelnen Sachverständigen an, sondern den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand.
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. September 2004 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

D[ies]er wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. [...] Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes.
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Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (zB ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information {\textless}DIMDI{\textgreater} ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahre 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Aufl 2001). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen.

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Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl 2005; Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO; vgl speziell Venzlaff/ Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl 2004). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen [...]. Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen [...]. Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen.

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Die Klärung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes macht die Einholung von Sachverständigengutachten und die eigenständige verantwortliche Beurteilung des konkreten Einzelfalls durch einen Sachverständigen nicht entbehrlich. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung des Sachverständigen, von der er nur wissenschaftlich begründet abweichen kann, und macht sein Gutachten für die Beteiligten und das Gericht transparent und nachvollziehbar. Denn auch für die Beurteilung des Einzelfalles kommt es nicht auf die allgemeine wissenschaftliche Auffassung des einzelnen Sachverständigen an, sondern den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand.},
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